Die wissenschaftliche Verortung und Legitimation der Psychoanalyse sind seit jeher Gegenstand hitziger Debatten. Nicht selten wird ihr dabei der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit gemacht, entweder um sie als Ganzes zu diffamieren oder um sie endlich (wieder) auf den festen Boden der exakten Wissenschaften – und jüngst: der Hirnforschung – stellen zu können.
Schon Sigmund Freud antwortete widersprüchlich auf die Frage nach dem Verhältnis von Psychoanalyse und Neurowissenschaften. Mal träumte er von einer kommenden Einheitswissenschaft, die Gewissheit bringen sollte, wo er sich noch ins spekulative Dunkel begeben musste. Andere Male warnte er gerade davor, den eigentlichen Gegenstand der Psychologie – das Seelische – mit dem der Neurophysiologie zu verwechseln. Beobachtung blieb für ihn jedoch Beobachtung, gleich ob es sich um die Zelle einer Schnecke oder den Traum eines Patienten handelte, und so resümierte er 1940 an seinem nahenden Lebensende: „Die Psychologie ist auch eine Naturwissenschaft. Was sollte sie denn sonst sein?“
Die Neuropsychoanalyse macht damit ernst und verspricht mit Hilfe naturwissenschaftlicher Methoden dort integrative Arbeit zu leisten, wo sich die psychoanalytischen Schulen immer weiter pluralisieren und scheinbar widerspruchsfrei nebeneinander bestehen. Diese werden von der Neuropsychoanalyse auf die zentrale Frage gestoßen, wie sie dann noch eine Verbindlichkeit ihrer Konzepte und damit der Grundlage ihres therapeutischen Arbeitens gewährleisten können. Handelt es sich bei der Neuropsychoanalyse um die von Freud manchmal herbeigesehnte Einheitswissenschaft?
Die positivistische Verheißung exakter Erkenntnisse darf aber nicht nur angesichts der prophetischen Inszenierung von manchen Hirnforschern und der wiederkehrenden Replikationskrisen angezweifelt werden. Noch grundsätzlicher wäre zu fragen, ob das Eigenständige der Psychoanalyse nicht gerade in ihrer Widerständigkeit zu suchen wäre. In dem, was sich der vereindeutigenden Subsumtion unter bestehende Wissenssysteme entzieht und durch keine Laborsituation festgezurrt werden kann.
Können Es, Ich und Über-Ich durch bildgebende Verfahren sichtbar werden, korrespondiert Metapsychologie mit ‚Dingen‘ im Gehirn? Kann die Kernthese der Psychoanalyse – dass es ein Unbewusstes gibt, das nie ganz erkannt und verfügbar werden kann – von der Neuropsychoanalyse widerlegt werden? Oder bleibt die psychoanalytische Erfahrung von den neurokognitiven Befunden gänzlich unberührt? Gilt es das Freud’sche „Junktim zwischen Heilen und Forschen“ zu stärken oder muss es einer Arbeitsteilung von Labor und Couch weichen? Und beweist die Psychoanalyse somit ihren widerständigen Geist, wenn sie sich gegen ihre neurowissenschaftliche Vereinnahmung zur Wehr setzt, oder leistet sie hirnlosen Widerstand gegen die Kränkung, die Deutungshoheit von Forschern jenseits der Praxis abgelaufen zu bekommen?
Prof. Dr. Christine Kirchhoff und Prof. Dr. Mark Solms diskutieren zur Frage der Neuropsychoanalyse und ihren Implikationen für die Erkenntnistheorie, Metapsychologie und Klinik der Psychoanalyse. Die Diskussion wird von der krIPU BERLIN veranstaltet und moderiert von Benedikt Salfeld. Die ganze Veranstaltung findet in englischer Sprache statt.
Wann? Freitag, 11. Februar 2022, 20 bis 22 Uhr
Wo? In Präsenz: Hörsaal 1 (3. OG), Stromstr. 2, 10555 Berlin
Aufgrund der Corona-Verordnung ist eine Anmeldung nötig: https://www.ipu-berlin.de/zur-frage-der-neuro-psychoanalyse-widerstaendiger-geist-oder-hirnloser-widerstand/